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Niels-Olaf Lüders

„Die Spaltung der Gesellschaft“? - nachdenkliches zum jahreswechsel

In den letzten Jahrzehnten des Neoliberalismus wurde von den jeweils Regierenden unisono das Mantra des permanenten eigennützigen Konkurrenzkampfs in allen Lebensbereichen gesungen. Es wurde zur notwendigen Basis der unreflektiert geradezu vergöttlichten Freiheit des Einzelnen erklärt. Und nun wundert man sich in den Medien bei nahezu jedem Thema über eine gern in das Schlagwort „Spaltung der Gesellschaft“ gehüllte Entsolidarisierung dieser auf Egoismus gedrillten Gesellschaft.

Warum beginne ich diesen Artikel zum Jahresauftakt gerade mit so einem Gedanken? Ganz einfach. Weil natürlich auch wir als LINKE uns in unserem politischen Wirken mit dieser sogenannten „Spaltung der Gesellschaft“ künftig immer stärker konfrontiert sehen werden. Wir könnten es uns leicht machen und diese über Jahre anerzogene und zum Ideal erklärte alleinige Fokussierung der Menschen auf den eigenen Vorteil einfach nur beklagen oder es gar als Ausrede für politische Misserfolge hernehmen, weil wir mit unserer Idee einer solidarischeren Gesellschaft von in solcher Weise zutiefst geprägten Menschen zwangsläufig kaum noch verstanden werden. Und wir hätten damit sogar recht. Immerhin waren wir als LINKE es ja nicht, die dieses Denken geformt haben. Aber das darf uns natürlich nicht reichen, wenn wir mit unseren linken Ideen und Vorstellungen auch in Zukunft noch ein gewichtiges Wort mitreden wollen.

Wie gehen wir also mit der sogenannten „Spaltung der Gesellschaft“ um?
Selbstverständlich sollten wir uns auch weiterhin immer wieder ganz besonders politisch für diejenigen Menschen einsetzen, die zu den Verlierern dieses durch die Globalisierung (des Kapitals) verschärften erbarmungslosen Konkurrenzkampfs gehören. Dazu gehören übrigens durchaus auch diejenigen, die das im Neoliberalismus kultivierte und daher bereits tief verinnerlichte Recht des Stärkeren allenfalls im Verhältnis zu noch Schwächeren auf ihrer Seite spüren können und von denen es dann eben leider einige gibt, die das aufgrund der jahrzehntelangen Erziehung zum Egoismus auch spüren wollen. Der Einsatz für die Opfer des mithilfe der Ideologie des Neoliberalismus immer ungehemmter agierenden Kapitalismus sollte also nach wie vor quasi unsere politische DNA bilden. Daran führt kein Weg vorbei, und das ist allemal besser, als eine permanente bloße Selbstvergewisserung, auf der moralisch besseren Seite dieser „gespaltenen Gesellschaft“ zu stehen.

Aber selbst unser so klares und deutliches soziales Engagement genügt offenbar noch nicht, solange wir den mit unsolidarischen Denkmustern derart gründlich geimpften Adressaten dieser Anstrengungen nicht auch gleichzeitig glaubhaft vermitteln und fassbar machen können, dass wir dieser „gespaltenen Gesellschaft“ etwas wirklich grundlegend anderes und Erstrebenswertes entgegensetzen wollen und können. Bekanntlich lernt der Mensch ja ganz überwiegend durch seine persönlichen Erfahrungen. Es dürfte also auch sehr wichtig sein, dass die Menschen, die Erfahrungen mit uns und unserer Partei machen, immer sehen und spüren können, dass wir in deutlicher Abkehr von den etablierten sozialdarwinistischen Denk- und Verhaltensstrukturen für ein echtes solidarisches und humanistisches Miteinander stehen.

Und Hand aufs Herz - ist das so schon der Fall? Ich möchte mit dieser Frage hier gar nicht so sehr auf die bekannten und von unseren politischen Gegnern genüsslich ausgeschlachteten Querelen in unserer Parteiführung anspielen, auch wenn dieser recht sinnlose innerparteiliche Machtkampf, bei dem wir alle verloren haben, zweifellos sehr großen Schaden angerichtet hat. Vielmehr geht es mir in erster Linie um das, was in unseren Händen an der Basis liegt. Dabei versteht es sich geradezu von selbst, dass sich unsere Vision einer solidarischeren und gerechteren Gesellschaft zunächst einmal am besten über die von uns geäußerten politischen Haltungen transportieren lässt. Gerade bei den alltäglichen kommunalpolitischen Sachfragen sehe ich da für uns durchaus noch Luft nach oben. Dabei ist mir klar, dass besonders die Kommunalpolitik durch eine nicht immer einfache Gratwanderung zwischen konstruktiver und kompromissorientierter Zusammenarbeit und dem gleichzeitigen Herauskehren einer klar erkennbaren eigenen politischen Linie geprägt ist. Es wäre aber dennoch wünschenswert, wenn es gerade bei solchen Entscheidungen, die – vielleicht nicht einmal gleich auf den allerersten Blick erkennbar – die soziale Spaltung weiter verschärfen, nach sorgfältiger Prüfung viel öfter ein klares und deutlich vernehmbares „Nein“ von uns gäbe. Die in den Anfangsjahren unserer Partei aus verständlichen Gründen ganz bewusst besonders herausgestellte Politikfähigkeit sollte nämlich niemals zum Selbstzweck werden. Und gerade in den Zeiten sich zuspitzender Widersprüche – und nichts anderes verbirgt sich doch letztlich auch hinter der sogenannten „Spaltung der Gesellschaft“ – müssen wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit deutlich zeigen, wofür gerade wir stehen. In den dabei dann unvermeidlichen politischen Konfrontationen sollten wir Rückgrat beweisen. Und das gelingt ganz sicher am besten, wenn wir fest zusammenhalten und den Genossinnen und Genossen, die in solchen Fällen für unsere Ziele kompromisslos und unter Inkaufnahme von Anfeindungen zu streiten haben, den erforderlichen Rückhalt bieten. Wenn wir die von uns vertretene Vision einer besseren und vor allem solidarischeren Gesellschaft als Partei wirklich glaubhaft anderen Menschen vermitteln wollen, dann ist es nämlich sicher auch überaus wichtig, dass wir selbst als Gemeinschaft eben dieses Bild eines festen und solidarischen Zusammenhalts abgeben. An diesem Zusammenhalt gilt es künftig noch viel stärker zu arbeiten. So sollten wir uns zum Beispiel bei internen Diskussionen jederzeit vergegenwärtigen, dass wir mit jemandem streiten, der im Kern für dasselbe eintritt. Diesem Gedanken sollte unsere Streitkultur immer Rechnung tragen und es wäre sehr wünschenswert, wenn wir dabei auch menschlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten mit großer Nachsicht und viel Milde begegnen. Erforderlich ist sicher auch eine Bereitschaft, in solchen internen Diskussionen die eigene Meinung infrage zu stellen, sei es wegen guter Argumente oder einfach aufgrund demokratischer Mechanismen. Nur wenn wir selbst so agieren und auftreten, kann es uns gelingen, den Menschen, die uns politisch wahrnehmen, einigermaßen widerspruchsfrei eine greifbare und erstrebenswerte solidarische Alternative auch als gelebte Erfahrung nahezubringen. Zudem braucht es noch ein offenes Ohr gerade auch für die Probleme der vom neoliberalen Konkurrenzkampf oft schwer gebeutelten Menschen, wenn sie unsere hoffentlich dazu künftig noch sehr viel mehr einladende Geschäftsstelle betreten oder wenn sie mit uns als einzelnen Genossinnen und Genossen auf der Straße oder über den Gartenzaun ins Gespräch kommen. Und wenn es uns dabei schließlich auch noch gelingt, nicht möglichst schnell politische Trennlinien herauszuarbeiten, wie es heutzutage leider Usus geworden ist, sondern das Gespräch in erster Linie auf Verständnis füreinander und auf der Suche nach Übereinstimmungen basiert, dann sind wir wahrscheinlich auf einem richtigen Weg, den ja durchaus immer mehr nach Auswegen suchenden Menschen nahezubringen, dass diese jahrelang eingetrichterten neoliberalen, sozialdarwinistischen Denk- und Verhaltensweisen und die dem zugrunde liegenden ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen eben nicht alternativlos sind. Wir müssen die Alternative nicht nur erklären, sondern durch unser gesamtes Auftreten – so gut es unter den gegebenen Bedingungen möglich ist – auch glaubhaft und authentisch vorleben.

Niels-Olaf Lüders