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Dieter Schäfer

Gedenken zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

 Ihr werdet die Deutschen immer wieder daran erkennen können, ob sie den 8. Mai als Tag der Niederlage oder der Befreiung bezeichnen“ schrieb Heinrich Böll in einem fiktiven Brief „an meine Söhne“ bereits 1984. „Es könnte die Zeit kommen, in der es als politisch nicht mehr opportun gilt, den Verbrechen der Vergangenheit jene Namen zu geben, die ihnen gebühren, erst dann werden wir beweisen können, wie viel uns die Freiheit wert ist.

Im Mai 2020 jährt sich zum 75. Mal der Tag der Befreiung vom Faschismus. Wir sollten uns alle daran erinnern und Position beziehen. Es scheint, als ob in der gegenwärtigen deutschen Politik der sogenannten Mitte allerdings der Begriff „Befreiung vom Faschismus“ mit aller Macht vermieden werden soll. Das ist nicht neu. Er passt nicht in das Profil der Herrschenden in dem Land, von dem aus das menschenverachtende Naziregime einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug in Europa durchführte. Allein weit mehr als 20 Millionen Sowjetbürger und insgesamt über 50 Millionen Menschen wurden Opfer der faschistischen Kriegspolitik. Die Blockade von Leningrad hatte eine halbe Millionen Menschenopfer. Unsägliches Leid und beispiellose Zerstörungen brachte der Krieg. In Belorussland machten Nazis 628 Dörfer dem Erdboden gleich. Bei ihrem Rückzug unter dem Motto der verbrannten Erde wurden unzählige Kinder, Frauen und Alte regelrecht abgeschlachtet.

Keine Geschichtsklitterung und -verwässerung zulassen

Erinnerung darf nicht politisch verwässert oder durch alte Feindbilder überlagert werden. Aber genau das geschieht gegenwärtig gegen den Willen von 80 Prozent der Deutschen, die sich für die Bezeichnung „Befreiung“ aussprechen. Neun Prozent sind dagegen.

Es gibt wieder eine „Kultur“ der Gewalt, die sich u. a. in Rüstungswahn und militärischer Einflussnahme in anderen Ländern widerspiegelt. Deutschland investiert in Kriegszukunft, entsprechend einer militaristischen Kriegspolitik. Was wir aber brauchen, ist eine Kultur des Friedens. Sie beginnt mit der humanistischen Erziehung in der Familie, mit einer qualifizierte Bildung in Kindergarten und Schule, mit dem konsequenten Verbot von Gewaltverherrlichung und faschistischer Ideologie bis hin zur kritischen und korrekten Aufarbeitung der Geschichte, besonders der eigenen deutschen Geschichte.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ sagte Bertold Brecht. Der Schoß scheint noch fruchtbarer geworden zu sein, denn fast ohnmächtig sehen wir der zunehmenden Verbreitung und Akzeptierung neofaschistischen Gedankengutes zu. Und immer noch gibt es konservative Politiker und Ideologen, die die Gleichstellung von Rechts– und Linksextremismus propagieren, weil das unverfänglicher erscheint. Genau das ist das Klima, in dem Nazis gedeihen können. Eine Reihe schwerer Mord- und anderer Straftaten sprechen für sich. Legale Begleiterin der Straftaten ist die Geschichtsrevision. Zu wenige Historiker und Politiker stellen sich massiv einer Umdeutung der Geschichte entgegen.

Dieter Schäfer
Strausberg