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Reimar Pflanz

Rede zum Aschermittwoch am 26. Februar in Petershagen/Eggersdorf

Liebe Närrinnen und Narren,

die Zeit der Narren geht für diese Session zu Ende, die Zeit der Irren leider nicht.

Oder ist es nicht irre, wenn Wirtschaftswachstum, Konsum und Bauen, Bauen, Bauen immer noch als die Maxime in Zeiten des doch angeblich die Existenz der gesamten Menschheit bedrohenden Klimawandels gefeiert werden.

Was anders als irre ist es denn, wenn in Deutschland, Europa und in der ganzen Welt rechtsextreme Kräfte ihre Wiedergeburt feiern und die Linke außer Parolen dem nicht viel entgegenzusetzen weiß.

Ist es vielleicht nicht irre, wenn Menschen andere Menschen ohne mit diesen auch nur ein Wort gewechselt zu haben, auf Grund von Nationalität, Hautfarbe oder Glauben erschießen, erdolchen, erhängen, köpfen oder aufschlitzen?

Wie anders als irre nennt man es, wenn annähernd 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, 75 Jahre nach der Vernichtung des faschistischen Regimes in Deutschland nun wieder Panzer und Soldaten über Deutschland gen Osten rollen, um Krieg gegen angeblich niemanden Konkreten zu spielen?

Welches andere Wort als  irre trifft es, wenn Deutschland und die NATO immer weiter unmittelbar und mittelbar an den Spiralen der Gewalt und des Krieges im Nahen Osten und in Afrikas Norden und an anderen Orten der Welt drehen, immer im Kampf gegen Schlächter, Mörder, Despoten – regelmäßig verrückterweise in Allianz mit anderen Schlächtern, Mördern und Despoten.

Die Beispiele von fortgeschrittenem Irrsinn können endlos aufgeführt werden. Man könnte direkt irre daran werden.

Aktuell beschäftigt uns das Corona-Virus. Die einen sehen schon eine globale Rezession kommen, die anderen gar das Ende der Globalisierung eingeläutet, den Kapitalismus auf dem Rückzug. Nein, so leicht gibt der Kapitalismus nicht auf. Eine globale Rezession ist überfällig, der Virus willkommener Anlass. Darben werden die Schwachen in dieser Welt. Das Stolpern der Börsen und das Stottern des Konjunkturmotors sind viele Berichte und Meldungen wert. Das Leiden der Menschen ist dagegen nur Zahl. Ist das nicht irre?

Das Land, Europa und die Welt brauchen die Narren, aber sie brauchen keine Irren! Leider ist die Wirklichkeit eine andere.

Liebe Närrinnen und Narren,

Thüringen ist klares Indiz dafür, dass die Parteiendemokratie in schwerer See hin- und hergeworfen wird. Es gab auch mal Zeiten, da wurde die See durch die Parteien in Aufruhr versetzt. Man sieht wirklich nicht mehr durch.

Die Wahl Kemmerichs – übrigens trägt der Mann eine erstaunlich simple Frisur für den Inhaber einer Friseurketten-Aktiengesellschaft und die Reaktionen darauf sind Sinnbild der Zerrüttetheit. Das ganze Spektakel zeigt auch auf, dass es weit ins sogenannte bürgerliche Lager hinein Bereitschaft gibt mit der AfD zusammenzuarbeiten: Meine Sicht – da könnte durchaus zusammenkommen, was zusammengehört.

Wenn ich so über Herrn Kemmerich und seine FDP nachdenke, scheint die Einfachheit der Frisur nicht das Problem zu sein, sondern die Einfältigkeit unter der Frisur. Rot-rot-grün abwählen mit einer bürgerlichen NSAfD-Mehrheit: Gratulation nochmals an den erfolgreichen Friseur, den amtierenden Ministerpräsidenten Thüringens.

Und nach der Wahl Kemmerichs? Erst Geeier – dann Machtwort der Kanzlerin – Ergebnis muss rückgängig gemacht werden.

Zu Recht die Frage: Ist das nun Demokratie? Ist damit qua Merkelschem Erlass klar, dass die CDU nicht mit der AfD verwandt war, ist oder sein wird? Ich frage mich allerdings: Ist diese Verwandtschaft eigentlich zu leugnen?

Die Älteren erinnern sich vielleicht: Waren es nicht Roland Koch und hier in Brandenburg Jörg Schönbohm, die mit „das Boot ist voll Rhetorik“ vor 20 Jahren Wahlkampf machten? Rüttgers hatte damals ein Problem mit zuwandernden IT-Fachkräften aus dem südasiatischen Raum.

Nein, die Schlagzeile „Kinder statt Inder“ wurde nicht durch NPD oder Republikaner produziert, sondern lediglich überspitzt als Rüttgers-Zitat auf die eigenen Wahlplakate gedruckt. Die Union fremdelte und fremdelt immer noch mit den Fremden. Das Merkel-Machtwort: „Wir schaffen das“ war durchaus auch an die eigene Partei gerichtet und ist in der Wirkung mangelhaft.

Bei aller Konzentration auf den Kampf gegen die im neuen Gewand auftretende Rechte, den Kampf gegen die AfD, darf nicht vergessen werden:

Die Gaulandsche Alternative ist nicht Ursache der gesellschaftlichen Spaltung, sie ist Symptom. Nationalkonservatives Gedankengut bis hin zum Völkischen wird immer eine politische Heimat suchen und finden. Und diese Heimat kann auch CDU, CSU oder FDP heißen. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man als Linke mit diesen Parteien kuschelt und sei es nur für eine Nacht.

Liebe Närrinnen und Narren,

manchmal reicht nur eine gemeinsame Nacht für eine neunmonatige Schwangerschaft nebst anschließender Verpflichtung für den gemeinsamen Spross bis zur wirtschaftlichen Selbständigkeit Sorge zu tragen. Da kann schnell ein Viertjahrhundert zusammenkommen.

Irritierend – da steckt übrigens auch das Wort irre drin - empfinde ich daher den intensiven Flirt unserer Genossinnen und Genossen in Thüringen, aber nicht nur da, mit den sogenannten bürgerlichen Parteien. Die Ambitionen reichen, so scheint es mir, weiter als für eine sachorientierte Arbeit zwingend nötig.

Zu Gauland: einen besseren programmatischen Namen eines Fraktionsvorsitzenden einer „Vogelschiss- in-der-Geschichte-Partei“ lässt sich ja kaum ausdenken. Ob Gauland das neue, in Gaue gegliederte Gau-Deutschland ex- oder inklusive Warthelandgau sieht?

Der thüringische NSAfD-Gauleiter Höcke weiß zumindest schon mal, dass Deutschland eine weitere tausendjährige Geschichte vor sich hat. Beginnend bei Kaiser Otto über den schlafenden Friedrich Barbarossa bis hin zu dem Weltkriegskaiser Friedrich Wilhelm Zwo waren die ersten tausend Jahre unter Mord und Totschlag vergangen. Dann kam Herr Hitler, der die zweiten tausend Jahre deutscher Geschichte mit Mord, Totschlag und Völkermord auf zwölf Jahre komprimiert hat. Es steht zu befürchten, dass Gauleiter Höcke die Leistung des Braunauers nach seiner Machtübernahme für die dritten tausend Jahren unterbieten wird.

Natürlich hat die AfD nichts mit den Anschlägen in Hanau zu tun. Gauleiter Höcke drückte das 2018 in Eisleben vorausschauend so aus:

„Das, was wir jetzt noch nicht durchsetzen können, weil wir nicht die Macht haben – aber wir werden die Macht bekommen – und dann werden wir das durchsetzen, was notwendig ist, damit wir unser freies Leben leben können. Dann werden wir die Direktive ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M, Mohammed, Muezzin und Minarett, Schluss ist, liebe Freunde!"

Scheint, als ob die vorgesehene Direktive aus der Höckeschen Schublade dem Hanauer Täter schon als Handlungsanweisung in die Hand gegeben wurde. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Opfer.

Schämt Euch, Ihr angeblich bürgerlichen und liberalen AfDler, dass Ihr diese Höckes in Euren Reihen duldet und groß macht. Eure Mitschuld steht außer Frage.

Trotz allem, es ist nicht angebracht sich von der AfD die Agenda bestimmen zu lassen. Und dieser Eindruck entsteht, wenn man die letzten 4 Jahre rekapituliert.

Wir müssen aufpassen, dass die AfD sich nicht in Themenfeldern breitmacht, die wir als urlinken Acker betrachten: Sozial-, Familien-, Bildungs- und Gesundheitspolitik. Der Wandel der AfD von einer ultrakonservativen neoliberalen Partei zu einer nationalsozialen Partei vollzieht sich vor unseren Augen.

Wir dürfen die Schwachen und Zurückgelassenen und jene, die sich zurückgelassen oder voller Angst fühlen nicht diesen Blendern überlassen. Gehen wir eben nicht davon aus, dass die AfD aus Überzeugung gewählt wird. Lassen wir die AfD-Wählerinnen und Wähler nicht mit dieser Partei allein. Nehmen wir die Ängste, Sorgen und Nöte ernst. Versuchen wir zu helfen. Gerade vor Ort, gerade konkret!

In einem hat die AfD meiner Ansicht nach allerdings unzweifelhaft Recht – 15 Jahre machtbewusste, lavierende, taktierende Angela Merkel an der Spitze dieses Landes sind wahrhaft genug. Nach meinem Gefühl überhaupt 15 Jahre zu viel.

Ich habe zwei, nun erwachsene Töchter, die seit ihrer politischen Bewusstwerdung nur eine deutsche Kanzlerin kennen: Angela Merkel. Als ich 1989 in der DDR auf die Straße ging, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass meine Kinder auch mit solch ewig währender, alternder Macht wie damals Honecker, Stoph & Co. aufwachsen müssen. Und nach Kohl war ich auch für den Westen guter Hoffnung. Die Hoffnung wurde enttäuscht.

Nun allerdings scheint ja bei der CDU der Frühling auszubrechen. Die Hoffnung nach langem Merkelschen Winter und kurzer Episode des jungfräulichen Gretchens aus dem Saarland – danke an den Friseur Kemmerich- endlich den Merz wieder willkommen zu heißen, bewegt die Partei Adenauers. Ob die Bewegung auch inhaltlicher Natur ist, bleibt abzuwarten. Für uns LINKE aber bietet der Herr von BlackRock so oder so große Möglichkeiten der Weiterentwicklung und produktiven Reibung, die uns durch die Figur Merkel und deren Politikstil und schwammigen Inhalte zu großen Teilen verwehrt blieben. Diese Möglichkeiten, liebe Närrinnen und Narren, sollten wir nutzen.

Nun aber zu unserer alten Tante: Die Genossinnen und Genossen von der SPD haben es wahrhaft nicht leicht. Das Tal ist tief, lang und voller Schatten. Die Tränen des Schmerzes machen den Untergrund glitschig.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute gewerbliche Sterbehilfe für rechtens erklärt. Mithin kann DIE LINKE nun ohne Angst vor Repression der SPD diese Hilfe gewähren. Alter und Siechtum dieser Partei würden ein schmerzarmes Ableben durchaus rechtfertigen.

Das ist die SPD konkret: Während die einen von Frieden und Zusammenarbeit mit Russland schwafeln – mir fällt als Beispiel spontan Herr Platzeck ein, schwätzt Transatlantiker Sigmar Gabriel davon, dass 2%-Rüstungsziel im Rahmen der umfassenden „Abrüstungs- und Friedensinitiative“ der NATO dadurch zu erreichen, dass Deutschland Geld in die Hand nimmt und Polen und die baltischen Staaten aufrüstet. Trau schau wem bei der SPD.

In unserem Landkreis fällt es mitunter schwer, den Landrat ob seiner Auslassungen zu diversen Themenkomplexen tatsächlich mit einem SPD-Parteibuch in Kongruenz zu bringen. Aber das gilt für so manchen Genossen in der SPD.

Die NATO-2%-SPD ist übrigens die SPD mit der ein erheblicher Teil der LINKEN sich eine Koalition im Bund gut vorstellen kann. Holzauge, sei wachsam.

Womit wir bei unseren Freundinnen und Freunden von Bündnis90/Die Grünen wären. Als künftige Kanzlerpartei gehandelt – ich würde den Grünen zu einer Doppelkanzlerin raten und empfehle auch den Bundesadler mit 2 Köpfen – männlich und weiblich - zu versehen, gelingt es dieser Partei ohne jegliche greifbare Aussagen ein Viertel der aktiven Wählerschaft und vor allem junge Leute hinter sich zu bringen. Nun ist das an sich noch kein Alleinstellungsmerkmal. Faszinierend ist aber schon, dass dies trotz des inhaltlich und rhetorisch so schwachen Personals der Grünen gelingt. Ich mutmaße, dass Annalena und Robert täglich nachhaltig produzierte Pralinen, CO2-fußabdruckfrei transportiert, nach Schweden senden, zum Dank an die wichtigste Stimmenbeschafferin, die noch nicht einmal Mitglied der im Lügen oder Anpassen so perfekten Partei ist: Greta Thunberg. Wir werden an der Entwicklung der Figur von Greta Thunberg erkennen, ob die Pralinen Wirkung zeigen.

Wieso fällt es den LINKEN eigentlich so schwer, den Grünen ihre Maske abzureißen? Dass grüne Politik im Konkreten nur selten etwas mit Klimarettung zu tun hat, ist doch zigfach erwiesen. Der Lehrer Kretschmann aus dem verbrennungsmotorisierten Süden der Bundesrepublik zeigt doch ganz konkret, dass grün das neue schwarz ist.

Wer mit den Grünen bundespolitisch enger zusammenarbeiten möchte, sollte nicht vergessen, zu welch willfährigen Militaristen große Teile der Partei in der Vergangenheit mutiert sind und mit welcher Verlogenheit, Aggressivität und Einseitigkeit grüne Politikerinnen und Politiker auf höchster Ebene eine außenpolitische Agenda vorantreiben, die große Gefahren birgt. Eine grüne Kanzlerschaft ist für den Frieden in Europa eine größere Gefahr, als es den Anschein erweckt. Holzauge, sei doppelt wachsam.

Im Übrigen und  andererseits ist es doch sehr beruhigend, dass die derzeitige, die Farbe Grün enthaltende Brandenburger Landesregierung so viel grüne Politik macht wie vormals die dunkelrot enthaltende Brandenburger Landesregierung linke Politik: nämlich für den Laien keine sichtbare.

Die Lohnabhängigen freuen sich aktuell auf das Versprechen einer Fabrik für Elektro-SUVs in Freienbrink. Elon Musk als Verkörperung des erfolgreichen Unternehmers, seine Firma Tesla als Sinnbild eines enthemmten, spekulativen Finanzkapitalismus – gemeinsam mit den Parteien und auch den Grünen und LINKEN. Da wird fleißig etwas in den Märkischen Sand gesetzt, das am Ende, wenn alles so läuft wie geplant, individuelle Mobilität für Besserverdienende ausspuckt. Schon wieder mal fühle ich Irritation.

Liebe Närrinnen und Narren,

an dieser Stelle müsste ich einige Worte zur LINKEN verlieren. Aber so recht viel will mir angesichts des vergangenen Jahres nicht über die Lippen. Daher breite ich hier den Mantel des Schweigens aus. Schweigen ist ja ohnehin eine rhetorische Waffe, die in ihrer Wirkmächtigkeit unterschätzt wird.

Nur so viel: Ich will hoffen, dass die Linkspartei sich wieder auf ihre eigenen Inhalte besinnt. Erste Schritte sind gegangen. Viele weitere Schritte sind zu gehen. Und zwar miteinander, solidarisch und offen und ehrlich im Umgang. Im Kreisvorstand wissen wir, dass auch bei uns einiges zu tun ist. Gebt uns etwas Zeit.

Uns allen vor Ort bleibt die Überzeugung, dass unser Einsatz für Frieden und Abrüstung, für Solidarität und Gerechtigkeit in der Gesellschaft, für auskömmliche Renten und gute Bildung mit Zugang für alle, für eine globale Welt des Miteinanders hier durch unser konkretes Tun im Kleinen: in den Sportvereinen, den Seniorenvereinen, bei Bürgerinitiativen und Gemeindevertretungen auch im Großen etwas bewirkt.

Bei aller Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern, ja, auch mit dem politischen Feind, dürfen wir nicht vergessen, dass alle handelnden Personen vor allem Menschen sind.

Liebe Närrinnen und Narren,

der Kreisvorstand der LINKEN und ich wünschen Euch gute Tage bis zum Wiederbeginn der närrischen Zeit. Lasst uns im Kleinen versuchen, was im Großen gelingen soll. Die, die meine Auslassungen für ein erquickendes Schläfchen genutzt haben, dürfen ihre Äuglein nun wieder öffnen.

Danke, dass Ihr nicht geschnarcht habt.

Und Danke an alle, die eisern ihre Streichhölzer in den Augen gelassen haben.

Vielen Dank!

 

Reimar Pflanz,
Mitglied des Kreisvorstandes
DIE LINKE. MOL