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Renate Adolph

Spitzelkrimi in Brandenburg

Manches erscheint filmreif. Doch als Film würde man es für nicht möglich halten.

Der Verfassungsschutz unterstützt die Herausgabe der Zeitschrift „United Skins“ mit volksverhetzenden Inhalten. Der Macher der Zeitung ist ein Mann, der im Knast wegen eines rassistischen Mordversuches einsitzt. Für die Redaktion erhält er vom Verfassungsschutz Schreibmaschine, Computer und Materialien. Der Verfassungsschutz befördert schließlich die fertigen Schriftstücke für Druck und Vertrieb wieder aus der JVA Brandenburg an der Havel heraus.

Mit Hilfe des Verfassungsschutzes, der Recht und Ordnung schützen soll, wird der Mann vorzeitig entlassen. Der Verfassungsschutz finanziert für ihn einen Szeneladen mit neonazistischem Krimskrams in Königs Wusterhausen. Auch damit verstößt das Amt gegen juristische Auflagen für den Mann. Der aber kann gut ausgerüstet erneut in die Neonaziscene einsteigen und sie sogar fleißig und öffentlich als NPD-Landesorganisationsleiter anführen. Dieser Carsten Szcepanski ist V-Mann mit Decknamen Piatto.

Doch seine Spitzeltätigkeit nutzt nicht viel. Die Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund, NSU, wird trotz seiner frühen Hinweise über Waffenkäufe des Trios nicht gestoppt. Gestoppt werden dagegen weitere Ermittlungen gegen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Seit 1998 verfügt der Brandenburgische Verfassungsschutz über Erkenntnisse bezüglich der untergetauchten gewaltbereiten Neonazis. Dennoch können diese 13 Jahre unerkannt, mordend und raubend durch Deutschland ziehen. Zehn Menschen kostet es das Leben, obwohl 30 V-Leute der verschiedensten Geheimdienste deutschlandweit vor und während der USU-Mordserie Teil des NSU-Umfeldes sind.

Zahlreiche Untersuchungsausschüsse von Landesparlamenten und des Bundetages befassen sich mit dem Phänomen und den Verwicklungen von Behörden.

Erinnert sei nur an gesperrte, verschwundene und geschredderte Akten, an Verstrickungen einzelner Verfassungsschützer an Tatorten, an unzureichende, zum Teil verhinderte Ermittlungen, an Telefonaten von Beate Zschäpe mit staatlichen Behörden nach den noch immer nicht eindeutig geklärten Selbstmorden der beiden Uwes.

Bilanz und Aktualität mit Dr. Schöneburg

Auch der Brandenburger Landtag setzt in der zurückliegenden Legislaturperiode einen Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Gewalt des NSU und zum Handeln der Behörden ein. Drei Jahre arbeitet der Ausschuss und verfasst einen Bericht von 3000 Seiten. Über seine Bilanz und Aktualität und vor allem über Piatto berichtet Dr. Volkmar Schöneburg, Obmann der Linksfraktion, Ende November bei einem gutbesuchten Forum der LINKEN in Hoppegarten.

Der Jurist und einstige Justizminister Brandenburgs Schöneburg schätzt ein, der ganze Fall Piatto sei ein Fall von Rechtsbrüchen von Staatsorganen. Durch Konspiration mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) und den JVA-Leitungen zunächst in Königs Wusterhausen und dann in Brandenburg an der Havel sorgt der Verfassungsschutz für seinen ungestörten Zugang zu seiner „Quelle“. Um Straftaten von V-Leuten zu verschleiern, habe es seitens des Innenministeriums Brandenburg in den Jahren 1994 bis 2005 strafvereitelnde Absprachen mit den Staatsanwaltschaften Frankfurt (Oder), Potsdam und Cottbus gegeben.

Quellenschutz sei der Strafverfolgung systematisch entgegengesetzt und fördere einen Brandstiftereffekt, den das BKA bereits 1997 auf Bundesebene kritisiert hatte.  

Piatto zeige anschaulich, unter welchen Umständen sich staatliche Behörden mit den Kräften gemein machten, die sie zu bekämpfen vorgäben. Die rechtsradikale Scene sei vom Verfassungsschutz zusätzlich aktiviert worden.

Schöneburg kommt zu dem Schluss, V-Leute machten mehr Schaden als Gewinn und kosteten unnötig viele Steuergelder. Ihr Einsatz sei rechtsstaatlich nicht vertretbar. Das V-Mann-(un-)wesen gehöre abgeschafft. Der Verfassungsschutz müsse besser kontrolliert werden, was aber kaum möglich sei. Kontrollen würden immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt. Der Verfassungsschutz sei somit ein Fremdkörper der Demokratie. Notwendig sei eine unabhängige Staatsanwaltschaft für Ermittlungen.

Als zentrale Erkenntnis des Untersuchungsausschusses hebt Schöneburg hervor, dass gerade der NSU-Komplex gezeigt habe, wie kontraproduktiv die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus sei. Der Verfassungsschutz sei nicht geeignet, wirksam rechtsextremen Gefahren zu begegnen.

Rassismus, Rechtsradikalismus und Menschenfeindlichkeit hätten gesellschaftliche Ursachen. Die gegenwärtigen gravierenden sozialökonomischen Veränderungen wie Globalisierung und Digitalisierung, ein weiteres Auseinanderklaffen der sozialen Schere, Abstiegsängste, abgehängte Regionen, Vereinzelung des Einzelnen seien Nährböden für gewaltbereiten Rechtradikalismus. Gegenmittel gegen eine wachsende unheilige Allianz von Biedermännern und Brandstiftern sei nicht primär die Stärkung des Repressionsapparates, sondern die Stärkung einer demokratischen Politik des Sozialen.