Der Beitragsstreit und die brandenburgische Justiz
Es war die große Weihnachtsüberraschung, als das Bundesverfassungsgericht am 17. Dezember einen Beschluss vom 12. November veröffentlichte, demzufolge eine Einfügung ins brandenburgische Kommunalabgabengesetz (KAG) grundgesetzwidrig und damit unwirksam ist. Ein eingefügtes Wort hatte es den Kommunen ab 2004 ermöglicht, längst verjährte Zahlungsansprüche neu aufleben zu lassen und einzufordern. Und genau das war der Zweck jener rechtswidrigen Gesetzesänderung.
Die Sache hatte einen landespolitischen Hintergrund: Im Jahre 2003 hatte die brandenburgische Landesregierung aus SPD und CDU die Zuweisungen an die Kommunen drastisch gekürzt, was bei den Betroffenen finanzielle Probleme schuf und Proteste auslöste. Die Regierung suchte deshalb nach einem Ausweg. Im August 2003 legte Innenminister Schönbohm (CDU) dem Landtag ein „Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben“ vor, das aber irreführend benannt war, weil es in Wirklichkeit eine zusätzliche Belastung der Bürger bedeutete. Den Zweck hatte der Minister ganz offen benannt: „eine Verbesserung der Einnahmesituation der Kommunen, insbesondere durch Rechtsänderungen bei der Erhebung und Beitreibung von Abgaben“. Was im Gesetzestitel „Entlastung“ hieß, war in Wirklichkeit das übliche Abschieben der Last nach unten.
Das Gesetz wurde am 17. 12. 2003 von der Landtagsmehrheit aus SPD und CDU angenommen und brachte mit der Einfügung des Wortes „rechtswirksam“ eine tiefgreifende Änderung der Rechtslage. Anstelle der alten Fassung: Die Beitragspflicht beginnt frühestens „mit dem Inkrafttreten der Satzung“ heißt es seitdem im KAG „… mit Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung“. Damit wurden alle bis dahin gültigen Verjährungsfristen faktisch aufgehoben. Reihenweise wurden danach die Astlöcher in den Verbandssatzungen gesucht, um diese aushebeln, d.h. für unwirksam erklären zu können. Und mit deftigen Beitragsbescheiden begann der Feldzug auf die Taschen der ahnungslosen Altanschließer.
Natürlich erregte das Unwillen. Der Landtag musste sich damit beschäftigen. Mit den Stimmen der SPD- und der CDU-Fraktion beschloss er im September 2008: [Es] „… soll als zusätzliche Option für die Beitragsfinanzierung eine gesetzliche Regelung in das KAG eingefügt werden, die für die sogenannten Altanschließer die Bildung eines besonderen Herstellungsbeitrages ermöglicht.“ Der LINKEN war eine solche Kann-Bestimmung nicht eindeutig genug. Sie brachte im Dezember 2008 einen Gesetzentwurf ein, wonach alle bis 31. 12. 2003 (nach der bis dahin geltenden Rechtslage) schon verjährten Forderungen nicht neu begründet werden können. Das wurde von der SPD/CDU-Mehrheit abgelehnt. Damit wurde klar: Diese Eindeutigkeit wollten sie eben gerade nicht.
Im Mai 2009 beschloss die Mehrheitskoalition dann eine Ergänzung des KAG: „Die Satzung kann vorsehen“, dass für altangeschlossene Grundstücke ein verminderter Beitrag gefordert wird. Mit dieser Beliebigkeitsfloskel war nichts gewonnen; die Anforderungen an ein Gesetz, nämlich eine eindeutige, klare, verbindliche Norm zu setzen, erfüllte sie nicht. Aus der Unentschiedenheit und Dehnbarkeit entsprangen alle bis heute anhaltenden Streitigkeiten.
Die meisten Wasserverbände dachten nämlich gar nicht daran, von der Möglichkeit der differenzierten Beitragserhebung tatsächlich Gebrauch zu machen. Sie waren nur auf möglichst hohe Einnahmen aus, und ein freiwilliger Verzicht auf einen Teil des möglichen Geldsegens kam für sie nicht in Frage. Die beratenden Rechtsanwälte unterstützen sie dabei. Einer dieser „Rechtsexperten“ erklärte noch im Dezember 2012, die Zweckverbände seien geradezu „verpflichtet“, gleiche Beiträge von allen zu erheben. Nur: im Gesetz steht davon kein Wort.
Aber alle brandenburgischen Gerichte unterstützen bisher die Abzockepraktiken der Wasserverbände: die Verwaltungsgerichte, das Oberverwaltungsgericht und auch das Landesverfassungsgericht. Klagen wurden mit juristischen Winkelzügen abgewiesen, und auch die Staatsanwaltschaften wiesen Anzeigen ab, ohne auf die dazu vorgebrachten Tatsachen und Argumente überhaupt einzugehen. Die Justiz ist wie eine Wand, an der alles abprallt. Ähnliches hatte ein Jurist aus Süddeutschland 2008 in einem Leserbrief berichtet: Er hatte in drei Jahrzehnten „unzählige, vom System organisierte Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen erlebt“, gegen die nicht anzukommen war, weil sie vom System (also von der Obrigkeit) gedeckt wurden. Da klingt es doch wie eine einheimische Bestätigung, wenn Rechtsanwalt Holzschuher (damals Vorsitzender der SPD- Landtagsfraktion) 2012 in Sonnewalde verkündete: „Bis 2000 haben uns die Gerichte nicht geholfen, jetzt tun sie es.“
Erst das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Wand einen Spalt geöffnet, aber noch fehlt die anwendbare Umsetzung der Grundsatzentscheidung. Und auch damit ist noch nicht alles erfasst. Denn die Forderung gleicher Beitragssätze von Alt- und Neuanschließern ist mit einigen wesentlichen Bestimmungen des Gesetzes nicht vereinbar. Das darzulegen ist allerdings etwas verzwickt.
Im Mai 2009 hatte der Landtag auch einen neuen § 18 ins KAG eingefügt, wonach keine Beiträge für Investitionen erhoben werden dürfen, die vor 1990 in Abwasseranlagen getätigt wurden. Bei der Begründung wurde im Landtag ausdrücklich erklärt, die Einfügung diene nur der Klarstellung. Der Grundsatz war also im Gesetzestext an sich schon enthalten. Am gleichen Tag war aber auch die schon erwähnte Beliebigkeitsfloskel als Absatz 4a in den § 8 eingefügt worden. Die besagte: Die „Aufgabenträger“ können von den Altanschließern geringere Beiträge fordern, sie können das aber auch sein lassen. Das heißt jedoch: Grundsätzlich können sie für Alt- und Neuanschließer auch einen gleich hohen Beitragssatz anwenden. Damit steht dieser Absatz 4a in direktem Gegensatz zum § 18. Das erkennt man allerdings erst, wenn man sich die Anwendung genauer ansieht.
Der Begriff „Neuanschließer“ steht für Grundstücke, die noch nicht an die Kanalisation angeschlossen waren, für die also die Kommunen oder die Wasserverbände erst die notwendigen Anlagen (z.B. Abwasserleitungen, Pumpen, Klärwerke) neu bauen mussten. Für diesen Herstellungsaufwand (also für die Investitionskosten) sind im Gesetz die Beiträge vorgesehen. Für Altanschließer sind solche Investitionen nicht erforderlich, denn die Anlagen bestehen schon, meist schon Jahrzehnte. In der DDR wurden solche Anlagen fast durchweg auf Staatskosten gebaut, was aber nur durch ein insgesamt niedrigeres Lohnniveau möglich war, denn eine Gabe Gottes waren die Anlagen nicht.
Auffällig bei der Gesetzesänderung ist der Widerspruch zwischen Wort und Tat. Im Landtag hatte Schönbohm Anfang Mai 2009 verkündet: „Eine Sache war doch immer einverständlich: dass die Altanschließer nicht herangezogen werden für Kosten, die früher entstanden sind.“ Und schon zuvor, im September 2008, hatte der Landtag zur Gesetzesänderung beschlossen: „Damit soll die Beteiligung der sogenannten Altanschließer an den Kosten zur bloßen Erweiterung des Leitungsnetzes zugunsten von Neuanschließern ausgeschlossen werden." Von dieser Klarheit ist im Gesetzestext nichts geblieben. Die von Schönbohm mit den Stimmen von SPD und CDU durchgedrückte Beliebigkeitsfloskel lässt Varianten zu, die in direktem Gegensatz zur verkündeten Absicht stehen, und das war offensichtlich so gewollt. Der eingefügte Absatz entsprach jedenfalls nicht dem Landtagsbeschluss vom September 2008, trotz gegenteiliger Beteuerungen. Die Landtagsmehrheit hat das hingenommen.
Die praktische Umsetzung durch die Wasserverbände machte in der Folgezeit die Unzulänglichkeit der Schönbohm‘schen Gesetzeseinfügung deutlich. Wenn nämlich von den Altanschließern die gleichen Beitragssätze wie von den Neuanschließer einkassiert werden, bedeutet das: Sie müssen zahlen, als ob die „Aufgabenträger“ für die schon bestehenden Abwasseranlagen den gleichen Investitionsaufwand erbracht hätten, wie für die zugunsten der Neuanschließer gerade erst neu erbauten. Auch wenn die Wasserverbände lauthals das Gegenteil verkünden, ist das in Wirklichkeit so. Damit verstößt dieses Verhalten aber gegen § 18 KAG. Somit beweist die Praxis: Das Gesetz ist nach der Einfügung von Schönbohms Beliebigkeitsfloskel nicht mehr widerspruchsfrei und erfüllt damit eine grundlegende Anforderung an ein Gesetz nicht. Die brandenburgischen Gerichte haben das allerdings stillschweigend übersehen.
Und das ist noch nicht einmal der einzige Verstoß dieser Art. Des Öfteren werden Teile der Gesamtanlage erneuert, z.B. durch eine bessere Kläranlage oder durch den Anschluss an eine wirkungsvollere Kläranlage, was auch für die Altanschließer Vorteile bringt. Dann entsteht die Frage, inwieweit sie dafür zu Beiträgen herangezogen werden können. Grundsätzlich ist das möglich. Aber im Gesetz gibt es dafür eine ganz exakte Bestimmung (§8 Abs. 4 Satz 5): Bei der Erneuerung von Anlagenteilen dürfen die mit den Gebühren eingenommenen Abschreibungsanteile nicht nochmals als Beitrag veranschlagt werden. Diese Abschreibungsanteile (meist um 25 % der Benutzungsgebühren) sollen für notwendige Erneuerungen bereitliegen. Wenn also altangeschlossene Grundstücke mit Beiträgen für Erneuerungen veranlagt werden, dürfen die Beitragssätze gar nicht so hoch sein, wie für neuangeschlossene, denn für erstere wurden schon jahrzehntelang Abschreibungsanteile mit den Benutzungsgebühren gezahlt, für letztere dagegen nicht.
Aus der eben erörterten gesetzlichen Bestimmung ergibt sich zwangsläufig, dass die Wasserverbände für Erneuerungen und Verbesserungen einen eigenen Beitragssatz festlegen müssten, aber sie tun es nicht. Der Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) stellt einen solchen Beitragssatz immer wieder in Aussicht, von seiner ersten Satzung (1992) an bis zur jetzt gültigen (2009), aber noch niemals hat er einen solchen Beitragssatz festgelegt. Er gab immer nur den Beitragssatz für die erstmalige Herstellung an und forderte ihn sowohl von Neu- als auch von Altanschließern. Das ist ein eindeutiger und offenbar beabsichtigter Verstoß gegen das Gesetz. Wegen dieses Verstoßes dürfte die Satzung gar nicht gültig sein, und die darauf fußenden Forderungen an die Altanschließer waren demzufolge unrechtmäßig. Aber die Gerichte haben immer großzügig darüber hinweggesehen. Es scheint, als ob alle sich darauf verlassen hätten, dass kaum jemand die komplizierte Rechtslage durchschaut.
Auch das brandenburgische Landesverfassungsgericht hat das Problem nicht gründlich und genau geprüft. Als es im September 2012 einen Beschluss zur Altanschließer-Problematik fasste, hat es im ersten Leitsatz zwar festgestellt, dass altangeschlossene Grundstücke nur zu Nachwende-Investitionen herangezogen werden dürfen, nur – dass es dabei beträchtliche Einschränkungen zu beachten gibt, wird nicht erwähnt. Im Gegensatz zum Gesetz verkündet das Gericht außerdem, dass „zwischen alt- und neuangeschlossenen Grundstücken im Hinblick auf den Herstellungsbeitrag keine Unterschiede bestehen, … die den Gesetzgeber dazu verpflichten würden, hiernach zu unterscheiden.“ Das steht im direkten Widerspruch zum zuvor verkündeten ersten Leitsatz. Und so geht es auch weiter: Eine unzulässige Doppelerhebung gebe es nicht; auch die Altanschließer hätten erstmals eine rechtlich gesicherte Anschlussmöglichkeit an eine neu entstandene Abwasseranlage erhalten, die sie zukünftig auf Dauer nutzen könnten, so dass sie sich „zukünftig nicht selbst um die ordnungsgemäße Beseitigung des auf ihrem Grundstück anfallenden Abwassers sorgen“ müssten.
Was ist denn da neu entstanden? Gar nichts! Nach 1990 fand nur ein Rechtsträgerwechsel statt, und in keinem Gesetz steht, dass die Nutzer dafür extra bezahlen müssen. Das haben einige beflissene Juristen frei erfunden und haben damit eigenmächtig das Recht geändert, wozu sie überhaupt nicht befugt sind.
Zu den übrigen „Argumenten“ fragt man sich unwillkürlich: Wie fürchterlich müssen die Zustände vor Oktober 1990 gewesen sein? Rein logisch ergibt sich aus den Behauptungen des Landesverfassungsgerichts: Zwar gab es eine Kanalisation, aber rechtlich war die gar nicht vorhanden, die Benutzung war nicht gesichert und auf Dauer überhaupt nicht möglich, jeder musste selbst nach Möglichkeiten suchen, sein Abwasser zu beseitigen. Die damals schon lebten, haben das offenbar nicht bemerkt, aber Herr Dr. Ulrich Becker aus Erlangen im Freistaat Bayern hat sie jetzt endlich darüber belehrt.
Herr Becker wurde nämlich im Februar 2011 Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg und gilt dort als Experte für Kommunalabgabenrecht. Er war offenbar bei der Formulierung des Gerichtsbeschlusses vom 21. September 2012 maßgeblich beteiligt. Das ergibt sich nicht nur aus seiner fachlichen Spezialisierung. Schon im Februar 2009 hatte Rechtsanwalt Dr. Becker den brandenburgischen Landtags-Abgeordneten – angefordert von der SPD-Fraktion – ein Gutachten zur Altanschließer-Problematik übersandt, in dem sich gleiche Ansichten und Formulierungen finden wie im Gerichtsbeschluss vom September 2012. Becker hat allerdings jahrelang auch Wasserverbände rechtlich beraten und offenbar bei ihren Abzockepraktiken unterstützt. Vermutlich wollte er im Beschluss des erlauchten Gremiums nichts anderes verkünden, als er zuvor seinen Wasserverbänden geraten hatte, denn dann hätten die vielleicht sein Beraterhonorar zurückfordern können. (Im Juristendeutsch heißt so etwas Befangenheit – aufgefallen ist das allerdings keinem Gericht.)
Auf welche Weise die meisten Wasserverbände mit der von Schönbohm gewährten Entscheidungsmöglichkeit umgingen, lässt sich konkret am Verhalten des Strausberger Verbands darstellen: Der WSE forderte von den Altanschließern Herstellungsbeiträge für Anlagen, die er gar nicht hergestellt hatte, denn für andere als für die erste Herstellung von Neu-Anlagen gab es in seiner Satzung gar keinen Beitragssatz. Zudem verkündet der WSE in seiner Beitragssatzung (in § 2), dass er Herstellungsbeiträge nur erhebe, soweit der Aufwand nicht durch die Schmutzwassergebühren abgedeckt sei; mit den Beitragsbescheiden verstößt er aber dagegen, weil er die schon gezahlten Abschreibungsanteile in den Gebühren völlig außer Acht lässt. Die Höhe der verlangten Summen ist somit gleich mehrfach unbegründet. Die fristgerechte Zahlung forderte der Verband jedoch rabiat unter Androhung von „Säumnis- und Vollstreckungsfolgen“.
Den Gesamtertrag der Aktion in Höhe von 22,4 Mio verbuchte er als „Extrazuschüsse“ (Geschäftsbericht 2011, S. 25 u. 28), also etwas, das der Zuschussgeber gezahlt hatte, ohne dafür eine entsprechende Gegenleistung zu bekommen. Der Geldsegen wurde folglich durchaus zutreffend verbucht. Verwandt wurde er zur Hälfte für die außerplanmäßige Tilgung von Krediten (die also noch gar nicht fällig waren), und die andere Hälfte (11,3 Mio, laut Geschäftsbericht 2011, S. 22) deponierte er als faktisch überschüssiges Guthaben in der eigenen Kasse und bei Banken (ebenda). Auch Ende 2014 lagen dort noch über 9 Mio € (Geschäftsbericht 2014, S. 22). Damit ist bewiesen, dass es für die Zahlungsforderungen gar keinen dringenden Bedarf gab.
Auf diese Art hatte der WSE auf Kosten seiner Kunden einen beträchtlichen außerordentlichen Gewinn gemacht, zusätzlich zu seinen sonstigen Gewinnen, obwohl er laut Gesetz gar keine Gewinne machen durfte, denn sowohl Gebühren als auch Beiträge sollen die Kosten zwar decken, aber nicht überschreiten (§ 6 Abs. 1 und § 8 Abs. 4 Satz 8 KAG). Die seit Jahren angehäuften „ordentlichen“ Gewinne erreichten Ende 2015 die Gesamtsumme von etwa 40 Millionen Euro; der jährliche Profit betrug meist zwischen 9 und 12 % des Einbringungskapitals. Als der WSE 2011 den Extra-Raubzug auf die Taschen seiner Kunden begann, hatte er 26 Mio € Gewinnrücklagen und außerdem über 63 Mio € zweckgebundene Rücklagen (aus Abschreibungsanteilen) angehäuft. Eine finanzielle Notlage war das ja gerade nicht. Mit seiner (aus den Geschäftsberichten ersichtlichen) Raffsucht verstößt der WSE ein weiteres Mal nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen seine eigene Verbandssatzung, denn dort steht gleich zu Beginn (Artikel I, § 2, Satz 4): „Der Verband … dient dem öffentlichen Wohl und strebt nicht an, Gewinne zu erzielen.“ In Wirklichkeit hat er ganz schön gestrebt! Die Verbandsoberen scheinen sich um ganz anderes zu kümmern als um das öffentliche Wohl. Diese Widersprüche sind auch den 16 Bürgermeistern der Verbandsversammlung nicht aufgefallen, des entscheidenden und überwachenden Organs des Verbands.
Alle brandenburgischen Gerichte haben die rechtswidrigen Praktiken, die Verstöße gegen das Gesetz und gegen die eigenen Verbandssatzungen bisher stets völlig übersehen oder zumindest nicht gründlich untersucht und bei ihren Entscheidungen beachtet. Es fällt schwer, darin keine Absicht zu erkennen. Womit wir wieder bei dem schon erwähnten süddeutschen Leserbrief aus dem Jahre 2008 wären.
Erst das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die brandenburgischen Gesetzesänderungen von 2003/04 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Auf die übrigen hier dargelegten Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen ist das Gericht nicht eingegangen. Da sie Landesrecht und nicht Bundesrecht sind, ist diese Haltung gerechtfertigt. Zuständig wäre dafür das Landesverfassungsgericht, aber das hat ja schon bewiesen, wie „sorgfältig“ es prüft und wie sehr man sich darauf verlassen kann.
Auf die Landesregierung zu hoffen, ist nach den bisherigen Erfahrungen aber auch nicht empfehlenswert. Als im März 2013 das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzentscheidung zu einer sehr ähnlichen Problematik in Bayern traf, erwarteten viele, dass daraus Folgerungen für Brandenburg gezogen würden. Aber sie wurden enttäuscht. Immerhin schon im April äußerten sich der damalige Innenminister, Dietmar Woidke, und sein Staatssekretär, Rudolf Zeeb (beide SPD), zu dem Gerichtsbeschluss; allerdings hatten sie nur Ausflüchte und regelrecht falsche Behauptungen vorzubringen. Das Ziel war unverkennbar: Das Abzocken in Brandenburg sollte uneingeschränkt weitergehen. Jetzt haben sie die Quittung für das starre Festklammern erhalten.
Aber auch die LINKE hat es nicht geschafft, für eine gesetzeskonforme Rechtslage zu sorgen. Als schwächerer Partner in der Koalition gab sie dem Druck des stärkeren nach. Noch 2015 verkündete Justizminister Dr. Helmuth Markov zum Altanschließer-Problem auf einer Versammlung in Strausberg: „Wir haben alles ganz gründlich geprüft. Da ist nichts mehr zu machen.“ – Allzu gründlich scheint die Prüfung ja nicht gewesen zu sein. Aber gerade von den Vertretern der LINKEN erwarten wir, dass sie alle Möglichkeiten nutzen, um eine rechtlich eindeutige Lösung zugunsten aller Betroffenen durchzusetzen. Da es in diesem Fall nicht um Parteipolitik oder um Wahltaktik geht, sondern um klare, hieb- und stichfeste Rechtsverhältnisse, könnten die Landtagsabgeordneten sogar mehrheitlich in ihrem Gewissen die Bereitschaft entdecken, sich für die Interessen ihrer Wähler einzusetzen. In diesem Fall ist das nur die strikte Einhaltung des Rechts.
Nachtrag
Die erste öffentliche Reaktion des jetzigen Innenministers, K.-H. Schröter (SPD), am 14. Januar war: „schade“. Er bedauerte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, denn er fand die Brandenburger Lösung so gut. Dass sie mit dem Bundesrecht nicht vereinbar war und die Bürger unrechtmäßig belastete, schien ihn überhaupt nicht gestört zu haben. Ansonsten stocherte er ein wenig im Nebel und bekundete seine Ratlosigkeit. Schon einen Monat nach der Veröffentlichung des Gerichtsbeschlusses meinte er, man müsse sich wohl gründlich damit beschäftigen. Was er aber dann von sich gab, lässt erkennen, dass er damit noch gar nicht begonnen hatte.
Der Wasserverband Strausberg-Erkner hat schneller reagiert. Es ging ihm sicherlich nicht um die Rechtsordnung, sondern um das Einsparen möglicher Zinszahlungen, als er Anfang Januar 2016 den „Großkunden“ die unrechtmäßig geforderten Abwasserbeiträge zurückzahlte. Aber damit hat der WSE die rechtliche Wirksamkeit des Gerichtsbeschusses vom 12. 11. 2015 für sein eigenes Handeln faktisch anerkannt. Das ist durchaus richtig, denn im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (§ 31 Abs. 1) steht völlig unmissverständlich: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.“
Der WSE agiert ja als Abwasserbehörde, folglich gilt der Gerichtsbeschluss für ihn uneingeschränkt. Das ergibt sich auch aus der Rechtslogik: Ein Verwaltungsakt, der auf einer verfassungswidrigen Bestimmung beruht, kann nicht selbst verfassungskonform, also rechtsgültig sein.
Deshalb kann sich der WSE auch nicht aussuchen, an wen er die rechtswidrig erlangten Beiträge zurückzahlt und an wen nicht. Er braucht sich nur an das im Grundgesetz vorgeschriebene Gleichheitsgebot zu erinnern, das er in der Vergangenheit so oft bemühte, um seine Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände zu rechtfertigen. Jetzt kann er es endlich einmal ganz rechtmäßig auf gleiche Tatbestände anwenden, wie es nach der Rechtslogik erforderlich ist.
Wenn es in Brandenburg nach Recht und Gesetz gehen soll, dürfte Innenminister Schröter keinen Dreh finden, die ihm so lieb gewordene Abzocke-Regelung aus dem Jahr 2004 auch nur teilweise aufrechtzuerhalten.